Es ist nach wie vor wunderschön. Die Wände innen sind aus interessant gemustertem, weiss-grauen Marmor, und der uralte goldene Aufzug und das Treppengelände aus poliertem Mahagoni Holz. Die Räume haben riesige, sonnendurchflutete Fenster. Teile des Films "Der maltesische Falke" wurden Anfang der Dreissiger darin gedreht - das "Flood Building" ist noch immer ein wichtiges Landmark der Stadt, und voller Geschichten.
Während der letzten 15 Jahre entwickelte sich downtown San Francisco zu einem Mekka für neue Tech und Start-ups. Firmen wie Linked-In, Twitter, Yelp oder Slack zogen next door in riesige Gebäude ein. Man hätte meinen können dass die jungen Programmer, die dort arbeiteten, das Abbild von Erfolg sind, mit superbezahlten Jobs und vielen persönlichen Freiheiten. Und obwohl sie das waren bis zu einem bestimmten Punkt kamen mit der Zeit immer mehr von ihnen mit emotionalen Problemen, Schmerzen oder Blockaden des Bewegungsapparates. Oft kamen sie während langer Mittagspausen in meine Praxis, um sich besser zu fühlen und einen leichteren Umgang mit sich selbst zu erlernen.
Neben den weit verbreiteten 'körperlichen' Symptomen die unser moderner Lebensstil mit sich bringen kann (z.B. Muskelverspannungen, Atemprobleme, Rückenschmerzen u.a. Stresssymptome) trat zunehmend eine neue Art von Anliegen meiner Klienten in den Vordergrund. Auf diese oder jene Art ausgedrückt kamen viele von ihnen zu mir mit folgenden Gedanken:
(A) "Jedesmal wenn ich im Coffeeshop stehe und auf meinen Cappuccino warte, fühle ich mich körperlich unsicher, beobachtet, und weiß nicht wohin mit meinen Händen. Meine Schultern verspannen sich und ich möchte mich am liebsten verstecken!"
(B) "Immer wenn ich im Fahrstuhl mit anderen Leuten meiner Firma stehe fühle ich mich peinlich berührt, weiss nicht was ich sagen soll. Ich versuche direkten Augenkontakt zu vermeiden und mein Körper versteift sich."
(C) "In Office Meetings bekomme ich oft Magenbeklemmungen und meine Stimme versagt, und ich existiere ununterbrochen unter der Angst, nicht ernstgenommen zu werden."
Traditionell könnte man denken, dass es hierbei um psychologische Symptome mit körperlichen Aspekten, oder um körperliche Symptome mit psychologischen Aspekten geht - und ein jeweiliger Spezialist notwendig sei. Fakt ist aber dass alles, was unser "Mensch-sein" ausmacht, in jedem einzelnen Moment unseres Leben vollständig involviert ist: Die Ganzheit des menschlichen Ausdrucks, Gebrauchs, und Wesens.
Wirkliche, echte Veränderung unseres inneren und äusseren Wesens ist nur möglich, wenn Denken, Angewohnheiten und Körpergebrauch als untrennbar, als Einheit verstanden werden.
Wir müssen neue Fragen stellen: Wie steuern wir unseren Körper wenn wir unter Druck stehen? Was beeinflusst diese Steuerung? Was denken wir im Moment der Unsicherheit (in einer bestimmten Umwelt), und wie verhalten sich unsere Muskeln? Wie beeinflussen Gedanken unsere Muskeln, und Muskeln unsere Wahrnehmung? Wie genau drücken sich eingefahrene Gedankenmuster als Angewohnheiten aus? Welche Rolle spielt unser Nervensystem dabei?
Und wie kann ich dieses Wissen anwenden, um mich bewusst und positiv im Alltag zu beeinflussen?
Werden nur vereinzelte Aspekte des "Mensch-seins" in den Vordergrund geholt und auf traditionellen Weise vom jeweiligen Spezialisten behandelt, wird unsere "Voll-Verkörperung", die durch lebenslang gesammelte Erfahrungen geformt wurde und weiterhin geformt wird, automatisch vernachlässigt. Echte, langfristige Veränderungen in Wahrnehmung und Verhalten sind dann nicht möglich.
Wir brauchen eine neue Methode des Lernens und der Selbstverantwortlichkeit. Sie existiert zwar schon seit über 120 Jahren, ist aber leider immer noch ein Geheimtip. Diese Methode verbindet die oben genannten Aspekte und lehrt den Menschen gleichzeitig, seinen Körper und Gedanken in direkter Beziehung zu seiner Umwelt zu verstehen. Sie lehrt, wie unsere Anatomie und Physiologie im Verhältnis zu unbewussten Gedanken, Angewohnheiten, Umwelt und Bewegung so zu gebrauchen sind dass Leichtigkeit, körperliche Aufrichtung, Schmerzfreiheit, Selbstausdruck, innere Stärke, Anmut und Wohlbefinden wieder möglich sind.
Dies könnte zum Beispiel eine der vielen möglichen Beschreibungen der Alexander Technik sein.
Es ist meines Erachtens von grösster Wichtigkeit, den Menschen als das zu betrachten was er wirklich ist: Ein biologisch-neurologisch-psychologisch-soziales Wesen mit einer komplizierten, in der Natur einzigartigen aufrechten Körperstruktur, welche der konstanten Schwerkraft ausgesetzt ist. In jedem einzelnen Moment unseres Lebens, und in jeder täglichen Handlung, wird immer die gesamte, in unserem Nervensystem gespeicherte Lebenserfahrung ausgedrückt, ob wir uns dessen bewusst sind, oder nicht. Da diese auch weiterhin beeinflusst und unter konstanter Einwirkung durch die Umwelt steht, erfordert dies eine ständig 'vigilante', bewusste, flexible Integration und Anpassung unserer Wahrnehmung und unseres Verhaltens an die gegebenen Umstände. Wenn dies nicht geschieht verliert der Mensch an mentaler und körperlicher Geschmeidigkeit und Flexibilität.
Es geht also darum, den Menschen als Ganzheit zu verstehen und ihm neue Handlungsweisen anzubieten, die auf allen Ebenen zugleich Veränderungen erlauben. Darin liegt das Besondere der Alexander Technik.
Das ist der Grund warum diese Arbeit oft auch "A Skill For Life" genannt wird. Alexander Technik skills kann Jeder erlernen und sie tun jedem Einzelnen gut, egal ob jung oder alt, Student oder Grossmutter, Sportler oder Musiker, Yoga Lehrer oder Krankenschwester, Programmer, Zahnarzt oder Polizist.
In der Alexander Technik adressieren wir nicht nur die ganze Person, was auch in medizinischen Kreisen immer häufiger als notwendig erkannt wird, sondern wir adressieren auch die kognitive Repräsentation des Körpers in unserem Gehirn. Wir beeinflussen den ganzen Menschen auf allen Ebenen zugleich.
Neurowissenschaften sind ein wichtiges Gebiet andauernder Weiterbildung für Alexander Lehrer, denn vieles verändert sich schnell auf dem Gebiet der Gehirnforschung. In der Alexander Technik verändern wir bewusst das 'Körperschema' - die Repräsentation bestimmter Teile unseres Körpers im Gehirn - und beeinflussen damit direkt die Erfahrung von Verspannungen und Schmerzen.
Mit anderen Worten, wie wir unseren Körper durch Gehirn und Nerven System wahrnehmen, beeinflusst wie stark sich unsere Schmerzen anfühlen. Dieser Vorgang verläuft bei jedem Menschen individuell und muss erst einmal erkannt werden.
Das ist der Grund warum die Alexander Technik als eine Art des aktiven Unterrichts verstanden werden muss, und nicht als passive Behandlung.
Um auf die Beispiele zurückzukommen:
(A) Coffeeshop: Hier beginne ich mit dem Klienten deren Körper ganzheitlich wahrzunehmen, zu beobachten welchen Raum deren Körper einnimmt und idealerweise einnehmen könnte. Dann arbeiten wir mit Raum und Umgebung und erlauben uns, ein wichtiger Teil davon zu werden, während wir die Wahrnehmung der inneren Struktur in Bewegung trainieren. Außerdem wird der Atem beruhigt und vertieft und die Sinne erweckt - das Interesse an unserer Umgebung -und all dass während wir weiterhin auf unseren Cappuccino warten!
Und nach ein paar Wochen des Umlernens verfliegt das alte Problem oft ganz von allein.
(B) Im Fahrstuhl: Hier beginnen wir ganz ähnlich zu arbeiten und bauen ein neues, größeres und kraftvolleres Körpergefühl auf, das wir auch in Beziehung zum "in unmittelbarer Nähe zu andern Menschen stehen" bringen. Des weiteren würden wir im geschützten Ramen der Alexander Stunde zusammen Smalltalk planen und üben.
Und nach ein paar Wochen des Umlernens verfliegt das alte Problem oft ganz von allein.
(C) Und während der Office Meetings: Wir beginnen herauszufinden wie konkret die Symptome sind, wann genau sie beginnen und wie lange sie noch nach den Meetings bestehen. Diese Angstsymptome zeigen eine inner Überzeugung, sich in direkter Gefahr zu befinden, und nicht "nur" in einem Meeting unter Kollegen. Hier wird die mentale Arbeit direkt mit dem Aufbau einer neuen Sicherheit im Körper verbunden. Wir bauen positive Interpretationen der Wahrnehmungen auf, damit sich das verängstigte Nervensystem des Klienten beruhigen und einen neuen, sicheren Anker finden kann.
Manchmal sind die Anliegen von Klienten scheinbar viel simpler, z.B. "mein Handgelenk und Nacken schmerzen immer wenn ich am PC sitze und arbeite". Ich sage scheinbar denn auch diese Situation ist nicht simple.
Ein Beispiel: Stell dir vor, du laeufst die Strasse entlang und plötzlich tut dir dein Knie weh. Es gab aber keinen akuten Unfall, kein Umknicken des Fusses, kein Stolpern oder Hinfallen beim Laufen. Dennoch kann es beim ersten Eindruck so erscheinen als ob das Problem das Knie ist. Wenn das Knie akut verletzt worden waere, dann muesste man mit der Heilung dort beginnen.
Da es aber beim Laufen ganz ploetzlich zu schmerzen anfing, ist das Problem wahrscheinlich nicht das Knie, sondern die Art und Weise, wie du dich koordinierst; wie du dein Skelett und Muskeln koordinierst bei der Bewegung "Die Strasse entlang laufen". Wie du Gelenke, Muskelsysteme & Bindegewebe (Faszien) koordinierst, und oft schon jahrelang koordiniert hast, bestimmt darueber, wo und wie schnell der Koerper "abgenutzt" wird.
Alle koerperlichen Systeme arbeiten ununterbrochen zusammen. Sie erhalten Anweisungen von uns, nach denen sie sich liebevoll richten. Die Frage ist nun: Wer koordiniert das Ganze? Das ist dein Denken, die Impulse, die vom Gehirn ausgehen und den Bewegungsablauf lenken.
Das heißt, was im Kopf abgeht während du dich bewegst, ist bestimmend für die Qualität der Bewegung und wie du dich beim Bewegen fuehlst. Natürlich sind viele unserer täglichen Bewegungen dem Zufall überlassen, und gestalten sich so, wie wir sie zufällig als kleines Kind gelernt haben. Wir bemerken sie kaum, fühlen die einzelnen Bewegungen nicht, sind uns deren nicht bewusst, und das ist auch nicht weiter schlimm, da wir damit ja zum größten Teil gut im Alltag funktionieren.
Das Problem beginnt, wenn ganz plötzlich Schmerzen bei bestimmten Bewegungen auftreten, wenn unsere Bewegungen schwerfälliger werden, das Gleichgewicht und unsere Balance gestört sind, oder es schwierig geworden ist, als Künstler bestimmte Bewegungen auf einem höheren Niveau zu erfassen (und wir wissen, dass wir das doch eigentlich können sollten). Dann macht es grossen Sinn innezuhalten und herauszufinden, welche unbewussten Abläufe in deinem multi-dimensionalen System der Knochen, Muskeln & Faszien die Qualität deiner Bewegungen beeinflussen.
Und dann diese Abläufe verändern.
Das ist es, was in einer Alexander Stunde geschieht: Da lernst Du bewusst und ganz persönlich wahrzunehmen, wie du deinen Körper gewohnheitsmässig koordinierst. Du lernst die Kunst, aus unbewussten Angewohnheiten zielbewusste Bewegungsabläufe zu formen, die zu neuem Wohlbefinden, neuer Kraft und körperlicher Anmut führen. Und ganz nebenbei entdecken viele Menschen auch gleich noch eine neugefundene innere Stärke und Selbstbewusstsein, die sich sehr positiv auf das gesamte Leben auswirken. Und habe ich schon erwähnt, dass Alexander Stunden viel Spaß machen, praktisch sind, und man dabei ganz viel lernt?
Um auf das schmerzende Knie zurueckzukommen: Hierbei handelt es um die Koordination und Ausrichtung von Kopf, Rumpf, Wirbelsaeule und Beinen - wie alles zusammen im Moment des Laufens von den Gedanken gesteuert wird: Wohin ist deine Aufmerksamkeit gelenkt? An was denkst du? Was ist dein Ziel? Klare Antworten sowie praktische Veraenderungen bezueglich dieser Fragen fuehren zu einer verbesserten Bewegungskoordination. Damit kann die Ursache des Schmerzes im Knie wirkungsvoll beseitigt werden.